Lange war Intergeschlechtlichkeit ein tabuisiertes Thema – ein Tabu, das aufzuweichen beginnt. Was bedeutet Inter*, Intergeschlechtlichkeit – oder Intersexualität? Wofür steht der Begriff „Drittes Geschlecht“?
Inter* und Intergeschlechtlichkeit – was bedeutet das?
Inter* oder intergeschlechtlich zu sein, bedeutet, mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren zu sein, die sich – aus einer medizinischen Perspektive – nicht eindeutig als „weiblich“ oder als „männlich“ zuordnen lassen. Zu den körperlichen Geschlechtsmerkmalen gehören neben den äußeren Merkmalen (z. B. Penis oder Vulva) und inneren Merkmalen (z. B. Gebärmutter oder Hoden) auch das Set an Chromosomen eines Menschen sowie hormonelle Prozesse im Körper.
Vielfalt von Inter*/Intergeschlechtlichkeit
Es gibt ganz unterschiedliche Formen von Intergeschlechtlichkeit. Manche Genitalien sind bei der Geburt vom Erscheinungsbild so uneindeutig, dass sie sowohl ein Penis als auch eine Klitoris sein könnten. Es gibt Mädchen*, die vom Chromosomensatz her Jungen* sind, aber aufgrund der Erscheinungsform ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale bei der Geburt als Mädchen* zugewiesen und auch so großgezogen werden. Oder es wird ein Kind mit sowohl weiblichen als auch männlichen, äußeren Geschlechtsmerkmalen geboren. Es gibt Formen von Intergeschlechtlichkeit, bei denen erst in der (Vor-)Pubertät offenbar wird, dass ein Kind inter* ist.
Deshalb bevorzugen wir auch die Schreibung inter*. Das Sternchen (Asterisk) steht dabei für die vielen verschiedenen Varianten von Inter*.
Es wird geschätzt, dass etwa 8.000 bis 120.000 inter* Personen in Deutschland leben. Diese Zahl schwankt so stark, weil es keine offiziellen Statistiken dazu gibt und die Grenze, was als inter* definiert wird, mal enger, mal weiter gezogen wird.[1]
Übrigens …
Viele inter* Menschen lehnen den Begriff „Intersexualität“ ab. Sie kritisieren, dass er zu sehr durch ein medizinisches Perspektive, das oftmals die fremdbestimmte Angleichung von inter* Menschen an das eine oder andere Geschlecht vorsieht, geprägt ist. Außerdem werde er schnell mit Begriffen wie z. B. Homosexualität gleichgestellt, die jedoch die sexuelle Orientierung betreffen.
Auch der Begriff „Zwitter“ wird von vielen inter* Menschen als beleidigend abgelehnt. Andere inter* Menschen benutzen ihn jedoch für sich, um ihn positiv umzudeuten (→ Sprache).
Operationen in der Kritik
Häufig wurden Kinder – teilweise im Säuglingsalter – riskanten geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen. Vereine und Verbände kritisierten, dass Eltern von inter* Kinder vom medizinischen Personal unter Druck gesetzt wurden – nur, um die gesellschaftliche Erwartung zu erfüllen, in der Geburtsurkunde entweder „männlich“ oder „weiblich“ anzukreuzen. Auch Wissenschaftler*innen zweifelten zunehmend die gesundheitliche Notwendigkeit solcher Operationen an.
Am 25.03.2021 wurde vom Bundestag ein Gesetz beschlossen, welches Behandlungen, die das körperliche Erscheinungsbild eines Kindes an „das männliche“ oder „das weibliche“ Geschlecht angleichen sollen verbietet. Ausnahmen sind nur erlaubt, wenn der Eingriff medizinisch unumgänglich ist. So können Eltern nur dann einer geschlechtsangleichenden Operation zustimmen, wenn der Eingriff nicht bis zu einer späteren selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann. Zusätzlich muss dies von einer interdisziplinären Kommission befürwortet werden.
„Drittes Geschlecht“
Das Personenstandsgesetz in Deutschland sieht vor: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.“ (§ 22 Abs. 3 PstG)
Das bedeutet, dass Eltern den Eintrag offenlassen können, sodass sich das Kind später selbst entscheiden kann, was es eintragen lassen möchte, oder sie können „divers“ als positive, eine dritte Geschlechtskategorie affirmierende Möglichkeit wählen. In den Medien wird diese Option oft als „Drittes Geschlecht“ bezeichnet.
Wie kann ich sensibel mit inter* Kindern umgehen?
Inter* Kinder können als Mädchen*, Junge* oder dazwischen auftreten. Sie können sich von unterschiedlichen Geschlechtern angezogen fühlen. Die Tatsache, mit einem inter* Körper geboren zu sein, sagt also nichts darüber aus, wie sich die Geschlechtsidentität, die Rolle oder das Begehren eines Kindes entwickeln. Wichtig ist es, diesen Kindern in Kitas, Grundschulen und Horten einen Raum anzubieten, in dem sie sich frei von Geschlechterstereotypen entwickeln können. Sie müssen verstärkt unterstützt werden, ein positives Körpergefühl zu entwickeln – in einer Welt, die ihnen täglich signalisiert, dass sie „anders“ sind.
Media: Quarks: Das Leben als intersexueller Mensch (4:29 min)
Kurzes Interview mit der inter* Person Lynn, wie es sich für Lynn anfühlt inter* zu sein und wie es ihr als Kind mit Operationen ergangen ist.
(Quelle: https://www.youtube.com/embed/yQVj2ni69iw)
Lesetipp:
Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V. (2020): „Intergeschlechtlichkeit – (k)ein Thema in der Kinder- und Jugendhilfe? – Was ist Intergeschlechtlichkeit und wie gehen wir mit den Bedürfnissen von inter* Kindern und Jugendlichen um?“ (Hier zu finden)
Aus unserem Medienkoffer:
- Ursula Rosen (2015): Jill ist anders
- Luzie Loda (2018): PS: Es gibt Lieblingseis
- Maria Pawłowska/Jakub Szamałek/Katarzyna Bogucka (2017): Wer ist die Schnecke Sam?
[1]Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Geschlecht/Themenjahr_2015/Inter/FAQs_Inter.html (Zugriff: 20.12.2020, 15:30 Uhr).