Sprache prägt unsere Gedanken, transportiert zeitgeschichtliche Entwicklungen und unterliegt einem stetigen Wandel. Sprache wiederum prägt unsere Vorstellungen. Sprache kann verletzen – sie kann aber auch Gleichstellung und Emanzipation vorantreiben.

Sprache beeinflusst unsere Vorstellungen

Im Jahr 2015 sorgte eine Studie für Aufsehen, die die Debatte um geschlechtergerechte Sprache befeuerte: Psycholog*innen der FU Berlin hatten empirisch dazu geforscht, wie die Bezeichnung von Berufen das Denken und das Selbstvertrauen von Kindern beeinflusst.

In zwei Experimenten lasen die Psycholog*innen 591 Grundschüler*innen im Alter von 6 bis 12 Jahren von deutschen und belgischen Schulen Berufsbezeichnungen vor – entweder in der Paarform (also „Ingenieurinnen und Ingenieure“) oder in der ausschließlich männlichen Sprachform („Ingenieure“). Anschließend waren die Kinder dazu aufgefordert, diese Berufe zu bewerten: u. a. danach, wie schwer sie zu erlernen sind, wie viel man damit verdient und ob sie sich diesen Beruf selbst zutrauen würden.[1]
Das Ergebnis: Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (in dieser Studie: Benutzung der Paarform, z. B. „Ingenieurinnen und Ingenieure“ statt nur „Ingenieure“) schätzen Kinder Berufe, die als „typisch männlich“ angesehen werden, insgesamt als für sie persönlich erreichbarer ein. Mädchen* trauen sich dann eher zu, sich z. B. in einem MINT-Beruf[2] zu sehen. Die Art und Weise, wie wir Wörter wählen, ist also nicht nebensächlich – sondern prägt ganz entscheidend Vorstellungen und damit Lebenswege.

Von Selbstbezeichnung bis „Fettnäpfchen“ – Sprache als Instrument der Emanzipation

Oft lassen sich an der Auseinandersetzung mit Sprache emanzipatorische Prozesse ablesen. In Bezug auf geschlechtergerechte Sprache geht es seit vielen Jahrzehnten darum, überhaupt Frauen* in Sprache zu repräsentieren. Diese Debatte wurde im letzten Jahrzehnt zunehmend ergänzt um die Frage, wie alle Geschlechter durch Sprache mitgedacht werden können, was die sprachliche Repräsentation von trans*, inter* und nicht-binären Personen vorantrieb. So schreiben wir, als KgKJH, z. B. mit dem Gender-Stern, um alle Geschlechter in Sprache abzubilden. Oft wird als Argument vorgebracht, dass Gender-Stern & Co. die Sprache „verschandele“. Wir finden: Sprache unterliegt einem stetigen Wandel und sie sollte verändert werden, um Veränderungen in der Gesellschaft anzustoßen

Ein weiterer Ansatz ist diskriminierungssensible Sprache. Hier wird – neben geschlechtergerechter Schreibung – auf Begriffe im Allgemeinen geschaut: So setzen sich Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung z. B. gegen den Gebrauch „Handicap“ in den Medien ein. Aus dem Englischen hergeleitet, stelle es eine Verknüpfung von Behinderung und Betteln („cap-in-hand“) dar. Stattdessen wird „Menschen mit Behinderung“ oder „Menschen mit (Seh-, Hör-, Geh-) Beeinträchtigung“ bevorzugt.

Manche Begriffe machen eine Wandlung von einem negativen zu einem ins Positive gewandten Begriff durch – immer dann, wenn Betroffene in emanzipatorischen Prozessen die ursprünglich beleidigend gemeinten Begriffe für sich umdeuten. „Queer“ ist ein gutes Beispiel dafür: Ursprünglich war es eine abwertende Bezeichnung mit der Bedeutung „seltsam, eigenartig“ und stigmatisierte Menschen, die mit ihrer Sexualität oder ihrem Geschlechtsausdruck von der vermeintlichen Norm „abwichen“. Heute benutzen ihn Communitys für sich mit Stolz als Sammelbegriff für LSBTIQ*.

Oft besteht die Sorge bei der Verwendung von Sprache, dass man ein „Fettnäpfchen“ erwischt. Heutzutage lässt sich jedoch meist unkompliziert über das Internet herausfinden, was Bezeichnungen sind, die von den jeweils Betroffenen, von Communitys und Selbstvertretungsorganisationen mitgetragen werden – und welche nicht.[3] In einer konkreten Situation kann man sein Gegenüber auch danach fragen.

Das „Abweichende“ markieren?

Sprachgeschichtlich wird oft zumeist das mit einem Begriff belegt, was von einer gesellschaftlichen Norm „abweicht“. So gab es den Begriff „Homosexualität“ lange vor dem Begriff „Heterosexualität“. Das, was von der Mehrheit einer Gesellschaft als „normal“ betrachtet wird, hat oft keinen Begriff – es wird davon ausgegangen, dass alle es als „normal“ und damit „gegeben“ annehmen.

Zum Beispiel: Cis ist der Gegenbegriff zu trans*. Cis zu sein bedeutet, dass ein Mensch mit dem Geschlecht, das bei der Geburt zugewiesen wurde, übereinstimmt. Obwohl anzunehmen ist, dass die meisten Menschen „cis“ sind, ist „cis“ der jüngere Begriff. Benennen wir cis nicht, kann der Eindruck entstehen, „alle sind eh cis“. Dadurch verschwindet trans* jedoch aus unserer Gedankenwelt. Bürgert sich jedoch ein Wortpaar – wie cis und trans* – in den Sprachgebrauch ein, wird der Blick schärfer dafür, dass es Varianten von Geschlecht sind, und nicht das eine, unbenannte, die „Normalität“ und das andere, benannte die Abweichung, die markiert werden muss.[4] Oft geht die Benennung mit einem Gefühl von Bestärkung bei den Betroffenen einher (→ Empowerment).

Media: „Gender-Sprache: Das sagen Kinder“ (6:02 min)

Das Video vom Youtube-Channel „Deutschland3000“ spricht mit Kindern über geschlechtergerechte Sprache: Was sagen Kinder dazu und wie prägt es ihre Wahrnehmung?

(Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=YZY3m5GfSxg)

Lesetipp:

Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V. (2021): „Einfach gendern… Geschlechtervielfalt in der barrierefreien Sprache“ (Hier zu finden)

Aus unserem Medienkoffer:

  • Frauke Angel/Julia Dürr (2019): Disco
  • Axel Scheffler/Martin Auer (1995): Lieschen Radieschen und der Lämmergeier

[1] Eine Zusammenfassung der Studie finden Sie z.B. beim idw – Informationsdienst Wissenschaft: https://idw-online.de/de/news632492

[2] MINT-Berufe sind Berufe aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik.

[3] Zum Beispiel listet das Projekt Leidmedien Begriffe, um über Behinderung zu sprechen/schreiben (https://leidmedien.de/begriffe/) , oder die neuen deutschen Medienmacher*innen bieten Formulierungshilfen zum Themenfeld Migration/Rassismus (https://glossar.neuemedienmacher.de/). Beide Organisationen/Projekte sind von jeweils Betroffenen selbst gestaltet.

[4] Ähnlich ist es mit homo-/heterosexuell. Der ältere Begriff ist homosexuell, ein Begriff, der von der Medizin gefunden wurde, um eine Abweichung von der Norm zu beschreiben. Erst später wurde heterosexuell etabliert, als sich damit befasst wurde, was denn diese Norm eigentlich sein soll. Auch in antirassistischen Kontexten spielen Begriffe auf diese Weise eine Rolle: Lange wurde weiß nicht benannt, es wurde immer angenommen, dass eine Person weiß ist, wenn nicht explizit Schwarz oder of Color hinzugesetzt wurde. Auch dadurch wurde die Idee von Norm vs. Abweichung verstärkt.