Was ist Geschlecht? Welchen Blick haben wir als Gesellschaft auf Geschlecht? Und was verbirgt sich hinter Geschlechtervielfalt?

Junge* oder Mädchen*?

… für viele Menschen ist die Unterscheidung hier ganz klar. Unser Alltagsverständnis bezieht sich meist auf genau zwei Geschlechter (Mädchen*/Frauen* und Jungen*/Männer*) und die Zugehörigkeit zu einem der Geschlechter leiten wir von der biologischen Ausstattung eines Menschen her, den Geschlechtsmerkmalen. Jedoch hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Sozialwissenschaften und der Biologie ein komplexerer Blick auf Geschlecht durchgesetzt. Bei Geschlecht betrachten wir immer:

Identität
Das psychische Geschlecht

… bezeichnet die Identität einer Person. Eine Person ist sich innerlich gewiss, Mädchen*, Junge*, keines von beidem oder dazwischen zu sein. So kann das psychische Geschlecht mit dem bei der Geburt zugewiesenen, biologischen Geschlecht übereinstimmen oder aber auch nicht.

Rolle/Geschlechtsausdruck
Das soziale Geschlecht

… bezeichnet die Rolle(n), die wir in der Interaktion mit anderen Menschen einnehmen, die Art und Weise, wie wir unser Geschlecht „inszenieren“ – z. B. über Kleidung, Frisuren, Spiele, Interessen, Berufswünsche (bzw. später -ausübung) oder Sprache. Es gibt eine breite Varianz von Menschen, die sich „passend“ zu ihrem biologischen und/oder psychischen Geschlecht verhalten (geschlechter-konform), bzw. die sich „nicht passend“ dazu verhalten (nicht-geschlechterkonform).

Sexuelle Orientierung/Begehren

Auch die sexuelle Orientierung spielt bei der Betrachtung von Geschlecht eine Rolle. Sie und die genannten Aspekte von Geschlecht werden zur geschlechtlich-sexuellen Identität eines Menschen zusammengefasst.

Körper
Das biologische Geschlecht

… umfasst alle körperlichen Merkmale einer Person. Dazu zählen äußere und innere Geschlechtsmerkmale, aber auch Chromosomen und Hormone.

Wenn unser Blick auf Geschlecht an seine Grenzen stößt

Unsere Sichtweise auf Geschlecht ist stark durch unsere gesellschaftliche Vorstellung bestimmt, Geschlecht sei binär geprägt. Diese Vorstellung besagt, dass es genau zwei Geschlechter gibt, Mädchen*/Frauen* und Jungen*/Männer*, und dass sie sich a) hinsichtlich ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale eindeutig unterscheiden lassen, sie sich b) in psychischer Übereinstimmung mit ihrem Körper empfinden und c) sich geschlechter-konform verhalten (und auch vom jeweils anderen Geschlecht sexuell und romantisch angezogen sind).

Dieser Blick auf Geschlecht wird unserer Realität jedoch nicht gerecht.

Es gibt Mädchen*, die spielen „Bauarbeiter“, raufen durch Schlammpfützen und weigern sich, ein Kleid zur Einschulung zu tragen – und wissen für sich ganz klar, dass sie Mädchen* sind. Es gibt Jungen*, die frisieren gerne ihre beste Freundin, schauen Bibi & Tina und lieben pastellfarbene T-Shirts. Und wissen für sich ganz klar, dass sie Jungen* sind (→ Stereotype, Vorurteile, Rollenklischees).

Es ist auch möglich, dass ein Kind bei seiner Geburt – aufgrund seiner äußerlichen, biologischen Geschlechtsmerkmale als Mädchen* angesehen wird. Im Laufe seiner Entwicklung stellt es jedoch fest, dass es mit dem zugewiesenen Geschlecht innerlich nicht übereinstimmt, ein Junge* oder weder Junge* noch Mädchen* ist (Trans* & Transgeschlechtlichkeit, genderqueer/nicht-binär).

Darüber hinaus gibt es Kinder, die bei ihrer Geburt körperliche Geschlechtsmerkmale aufweisen, die sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, oder in den ersten Lebensjahren oder der Pubertät scheinbar widersprüchliche Geschlechtsmerkmale entwickeln ( Inter* & Intergeschlechtlichkeit).

Da das binäre Geschlechtermodell jedoch sehr wirkmächtig ist, werden in der Regel diejenigen Menschen gesellschaftlich benachteiligt und ausgegrenzt, die von dem konventionellen Mann-Frau-Bild abweichen ( Diskriminierung, Heterosexismus).

Geschlechtervielfalt

Darum arbeiten wir mit dem Begriff Geschlechtervielfalt. Es ist ein Ansatz, der das breite Spektrum an biologischen, psychischen und sozialen Ausprägungen von Geschlecht (und auch von sexueller Orientierung) berücksichtigt. Durch diesen Ansatz schärft sich außerdem unser Blick für die Ausschlüsse und Diskriminierungen entlang von Geschlecht und Sexualität. Geschlechtervielfalt ist eine Haltung, die wir einnehmen, um das binäre System von Geschlecht zu hinterfragen und so der Realität von Jungen*, Mädchen*, trans* und inter* sowie genderqueeren/nicht-binären Kindern gerechter zu werden.

Media: Erklärvideo zu Geschlechtervielfalt als Bestandteil der kindlichen Lebenswelt

Unseren Erklärfilm zum Thema Geschlechtervielfalt finden Sie hier.

Aus unserem Koffer:

  • Susan Bagdach (2017): Die Wiese
  • Maria Pawłowska/Jakub Szamałek/Katarzyna Bogucka (2017): Wer ist die Schnecke Sam?