Warum müssen wir uns mit Pronomen auseinandersetzen? Warum ist es wichtig, die selbstgewählten Pronomen einer Person zu verwenden (insbesondere in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen)? Wo liegen Hindernisse in der deutschen Sprache? Was gibt es für Lösungsvorschläge?
DEUTSCHE SPRACHE = SCHWIERIGE SPRACHE
In der deutschen Sprache existieren verschiedene Arten von Pronomen. Personalpronomen werden verwendet, um über Personen zu sprechen. Die Pronomen ich, du, wir, ihr und sie in der Mehrzahl gelten für alle Menschen gleichermaßen, sie werden benutzt, unabhängig davon welches Geschlecht eine Person hat. Bei den Pronomen der dritten Person Singular – er, sie und es – verhält es sich etwas anders. Wenn über Menschen gesprochen wird, geschieht das meistens mit den Personalpronomen er und sie. Hierbei wird sie dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und er dem männlichen Geschlecht. Das Pronomen es wird dagegen selten für das Reden über Personen genutzt.
Einerseits dienen diese Pronomen dem Ausdruck der eigenen Identität, andererseits werden sie als Fremdzuweisung verwendet. Menschen, die cisgeschlechtlich sind und mit der gesellschaftlichen Einteilung in männlich und weiblich konformen gehen, stellen die scheinbare Eindeutigkeit in der Verwendung von den Pronomen er und sie selten in Frage, es ist für sie ok. Anders ist es für Menschen, die sich nicht von den herkömmlichen Pronomen er und sie angesprochen oder repräsentiert fühlen, oder bei denen die eigene Identität nicht mit der Fremdwahrnehmung und daraus folgenden Zuschreibungen übereinstimmt. (→ Sprache)
HON, HAN, HEN – EIN BLICK NACH SCHWEDEN
Ein Land, in dem hinsichtlich der üblich verwendeten Pronomen ebenso eine sprachliche Lücke festgestellt wurde, ist Schweden. In der schwedischen Sprache wird das Pronomen hon für sie sowie han für er gebraucht. Um 1960 gab es das Bemühen, die beiden Pronomen durch ein drittes, neutrales hen zu erweitern. Impulse gab ein Artikel in einer Lokalzeitung, der die Notwendigkeit eines geschlechtsneutralen Pronomens erörterte. Verwendet wurde das Pronomen jedoch erstmal nur in kleinen akademischen Kreisen und aktivistischen Gruppen, die sich mit Genderfragen und queeren Theorien auseinandersetzten. Inzwischen wurde das geschlechtsneutrale hen jedoch in den offiziellen Sprachgebrauch übernommen. Auslöser war das 2012 erschienene Kinderbuch „Kivi & Mosterhund“, in dem der Autor seine Charaktere ausschließlich mit hen statt han und hon bezeichnete. (zum Weiterlesen)
„MEINE PRONOMEN SIND …„
Da es in der deutschen Sprache bisher kaum Bestrebungen gab und keine offiziellen Lösungsansätze, wie beispielsweise im Schwedischen gefunden wurden, greifen Menschen auf eigene selbstgewählte Neopronomen zurück. Das können unter anderem Pronomen aus anderen Sprachen sein, wie hen aus dem Schwedischen oder they aus dem Englischen. Andererseits können Pronomen selbst geschaffen oder kreativ verändert werden.
Zwei solcher Beispiele sind nin und dey, deren praktische Anwendung so aussehen könnte:
- „Gerade als nin die Geschichte zu erzählen begann, setzte Regen ein.“
- „Wegen des Auftritts ist dey schon sehr aufgeregt.“
Eine empfehlenswerte Webseite, die viele Neopronomen, Beispiele sowie grammatikalische Hinweise enthält ist: https://nibi.space/pronomen.
Als eine der ersten Personen, die sich im deutschsprachigen Raum mit alternativen Pronomen auseinandergesetzt hat, gilt Illi Anna Heger. Ausführliche Informationen zu Illis Schöpfungen xier und sier finden sich auf der Webseite: https://www.annaheger.de/pronomen/.
Manche Menschen fühlen sich durch Pronomen im traditionellen Sinne nicht ausreichend oder nicht korrekt repräsentiert. Mitunter empfinden sie es für sich als passend, ganz individuell aus ihrem Vornamen ein Pronomen zu erschaffen. Sie wählen zum Beispiel dafür den ersten Buchstaben des eigenen Namens zur Ansprache:
- „Bertha kehrte gut nach der Beendigung von Bs Reise heim.“
Andere Menschen verwenden gar kein Pronom für sich und möchten nur mit dem Vornamen angesprochen werden.
- „Nachher besuchen Thilo und ich ein Museum. Thilo möchte mir die neue Ausstellung zeigen, von der Thilo gehört hat.“
WAS BEDEUTET „MISGENDERN“ UND WORAUF SOLLTE ICH ACHTEN?
Misgendern geschieht, wenn Menschen nicht ihrer korrekten Geschlechtsidentität entsprechend angesprochen werden, so auch wenn im Gespräch über sie falsch gesprochen wird, also nicht der gewählte Name und/oder die jeweiligen Pronomen benutzt werden.
Eine falsche Ansprache kann sowohl unbewusst als auch bewusst geschehen.
Wenn beispielsweise ein trans* Mädchen absichtlich mit dem Pronomen er oder nicht mit dem selbstgewählten Namen angesprochen wird, zeigt dies, dass die Identität des Kindes in Frage gestellt und ignoriert wird. Bewusstes Misgendern ist somit ein Akt psychischer Gewalt und eine Form von Diskriminierung. (→ Trans* & Transgeschlechtlichkeit, → genderqueer/nicht-binär).
WICHTIG IST
Für viele Menschen ist Geschlecht ein wichtiger Aspekt ihrer Identität und Teil ihres Selbstverständnisses. Die in der Kommunikation verwendete Sprache samt Pronomen spielt eine große Rolle dabei, dass sich auch Kinder und Jugendliche in ihrer Identität wahrgenommen fühlen.
Eine falsche Ansprache bedeutet für Kinder und Jugendliche, dass ihre Identität nicht respektiert, wird – dass sie in ihrem Sein nicht ernstgenommen werden. Dies kann aus einem Standpunkt von Unsicherheit erfolgen, aufgrund eines Nicht-Wissens oder auch aus einer Absicht des Ignorierens und Verletzens.
Media: Funk: Was sind deine Pronomen? #100Menschen1Frage I Auf Klo (9:20 min)
Zu der Frage „Was sind deine Pronomen?“ sprechen verschiedene Menschen neben persönlichen Erfahrungen darüber, wann Pronomen zu einem Thema geworden sind. Unter anderem erklärt eine Person, wie mit der Verwendung nur des Namens sowie mit Fehlern bei der Ansprache gut umgegangen werden kann.
Media: Warum ist es wichtig, die korrekten Pronomen einer Person zu benutzen? (1:00 min)
In kurzer Zusammenfassung gibt dieses vom Bundesverband Trans* e.V. veröffentlichte Video eine Antwort auf die Frage, weswegen es wichtig ist, die korrekten Pronomen einer Person zu benutzen.
(Quelle: https://youtu.be/MnUnl26Om7o)
Aus unserem Koffer:
- Brigitte Boomgarden/Felisa Talem (2019): Nour fragt warum – Verzicht auf die Verwendung von Pronomen für Nour
- Ursula Rosen (2015): Jill ist anders – Wechsel zwischen den Pronomen „er“ und „sie“ für Jill